Italien - Skinheads, SKA, Oi! und Fußball
Italien (von Daniel Schmidt)
Chemo Boys on Tour
An einem verschneiten Abend ende Januar machten
sich sieben Münchner Chemo Boys auf gen Italien, genauer gen
Florenz.
Dort war wie jedes Jahr das große SHARP-Meeting im CPA, einem
besetzen
Haus.
Wir quälten uns über den tief verschneiten
Brenner. An jeder Autobahnraststätte war unser strategisches
Genie
und unsere Zielsicherheit gefragt, was bei übermäßigem
Alkoholgenuß recht spaßig ist. Wilde Schneeballschlachten
wurden
ausgefochten, wobei auch schwere Waffen wie z.B. Schneeschaufeln
eingesetzt
wurden.
Um vier Uhr nachmittags standen wir dann auf
dem P.zale Angelo und beobachten wie die Sonne über dem
verschlafenem
Florenz aufging.
Die kunstsüchtigen machten sich gleich
auf die Socken diese wunderbare Stadt anzuschauen. Kein
Kunstwerk blieb
von uns Kunstbanausen verschont.
Gegen mittags suchten wir meine Kumpel Fio
und Moga auf. Das Wiedersehen wurde mit einem Mittagessen in
einer
wunderschönen
Trattoria gefeiert. Der Rotwein war echt super.
Danach ging`s in einen echt Irish Pub,
und über den Rest des Tages ranken sich nur noch wilde
Gerüchte.
Unser Sozi soll alle Italiener angelabert haben, ein Chemo Boy
soll auf
einer kommunistischen Versammlung der CPA mit einem gewissen
Gruß
rumgerannt sein, andere schliefen einfach und meine Wenigkeit
wollte
von
einer Bandprobe 800 km heimlatschen.
Aufgewacht sind wir in einem Raum mit fünf
cm dickem Schimmel an allen fünf Wänden/Decken.
Nach einem ausgiebigen Frühstück
konnten wir es uns nicht nehmen lassen noch mehr Kunst in unsere
hohlen
Köpfe aufzunehmen. So bestiegen wir zu dritt den Dom zu Florenz.
In
der Kuppel wird die Hölle als Paradies auf Erden dargestellt:
Frauen,
Sex, Alkohol, Gewalt und vieles mehr. Was wünscht sich das Herz
eines
Skinheads mehr!?!?
Am Abend traf man sich einer Bar in der Nähe
des CPA wieder. Es waren Perugeser, Römer und Bologneser
anwesend.
Zusammen ging es dann zum CPA und damit zum Höhepunkt unserer
Reise.
Zuerst wurde allerdings noch kräftig Muretti gesoffen und
gekickert,
wobei wir (bzw. die bayerische Mannschaft) die Kicker WM
gewannen.
Endlich
fing dann das Konzert mit Klasse Criminale aus Savona an. Sie
spielten
ein super Konzert, mit allen Klassikern, die lauthals von ca.
400
Glatzen
mitgegrölt wurden. Allerdings fehlt dieser Kult-Band der
wunderbare
Bass (oder war`s die Gitarre...) der wunderschönen Betty. Klasse
Criminale
brachte die Stimmung trotzdem zum Kochen.
Abgelöst wurde die Band um Marco von
den Stage bottles aus Mainhatten, die sich irgendwie durch
unsere 60er
Fahne verarscht fühlten. Sie waren zwar ziemlich gut, zogen
einem
aber auch nicht gerade die Schuhe aus. Dies sah man auch daran,
dass
ein
Mitglied der Chemo Boys auf einem Monitor und ein Anderes sogar
im
freien
Stand einschlief.
Danach kamen die Los Fastidios aus Verona.
Für mich sind diese Lambretta fahrenden Boot Boys die einzige
Oi!
Band die es gibt. Der frische Sound animiert richtig zum Singen,
da ein
jedes einzelne Wort leicht verständlich ist. Hinzu kommen
(zumindest
für Skinheads) intelligente Texte über Vespas, Frauen, Bier,
Gewalt und sowas halt.
Schon allein diese Band war die lange Reise
nach Florenz wert.
Lunga vita alla Moretti ed al Perugia!
Il Crucco
Daniel
La Musica
Nachdem Musik, Bier und Vespas unsere Lieblingsbeschäftigungen waren bzw. sind, ausländische Kultbands jedoch größtenteils fernblieben musste Ersatz geschaffen werden. Das hat zur Folge, dass die heimischen Bands in Italien teilweise bekannter sind als internationale Kultbands/Kultsänger wie Judge Dread, 4-Skins, Cocksparrer und sonstige. Dafür haben sich die Jugendszenen ihre eigenen, mindestens ebenbürtigen Idole geschaffen. Am größten und vielseitigsten dürfte wohl die Oi!Szene sein.Angefangen hat es in den achtziger Jahren mit den Nabat und the Stab. Die Kultbands aus Bologna brauchen den Vergleich mit Cockney Rejects nicht zu scheuen. Die Musik ist genauso aggressiv und hart - die Texte sind jedoch so, dass jeder der italienischen Sprache mächtige Skin oder Punk eine Gänsehaut bekommt, sobald er die Songs auch nur summt. Es sind die Hymnen an alle Skinheads und erzählen aus dessen Leben - knallhart und gnadenlos.
Mitte der achtziger Jahre entstand in der norditalienischen Stadt Savonce die Band "Klasse Kriminale". Die etwas sanftere Musik liegt in etwa zwischen 4-Skins und Cocksparrer. Sie übersetzten sie teilweise nur deren Texte, erfanden andere Melodien und verkauften das Ganze als ihre Eigenkreationen. Leider kamen sie über die Fußball-Ficken-Alkohol Inteligenz nie hinaus, schafften jedoch trotzdem einige Kultsongs.
Für den Oi! war es wohl das beste, dass Betty nach Rimini ging um dort die absoluten Kings des Oi! zu gründen: Reazione. Die Musik ist absolut melodisch und die Texte so genial, dass das Publikumb schon ab dem ersten Takt tobt.
Wieder in den 80er Jahren haben wir noch Ghetto 84 aus Bologna und Banda Bassotti aus Rom. Beide Bands sind purpur-rot angehaucht, was sie nicht daran hindert, erstklassigen Punkrock und SKA zu spielen. Auch kann man sie nicht mit deutschem Antifa Mist vergleichen, da Ihre Textebesser sind und sie zu dem stehen was sie sagen. Sie scheissen sich sicher nicht vor ein paar Faschos ein.
Zu guter letzt haben wir noch die Propheten aller italienischen SHARP`s , des Vespa Kults und des Oi!. Die "Los Fastidos" (Verona) sind meine persönliche Lieblingsband, des sonnigen Südens. Die Jungs strahlen mit ihren Liedern und Texten zum Einen eine Lebensfreude - zum Anderen eine Kompromisslosigkeit was das Skinhead-dasein betrifft aus wie es sie nur in Italien gibt. Zu diesen großen Bands kommen noch viele Andere, weniger bekannte. Jede größere Stadt Italiens hat ihre kleine Oi! Kapelle, die regelmäßig auftritt.
Was SKA betrifft gibt es nicht so viel Auswahl.
Sehr gut haben mir die "400 Lolpi" gefallen.
Sie machten reinen SKA und Rocksteady der 60er Jahre, mit dem
sie
regelmaßig
die Glatzen zum Dampfen brachten.
Auch "Valanzaska" und "Skala di Fiura" waren
meistens recht nett anzusehen.
In Bologna gibt es auch noch die Frauen SKA
Band "Tre mende". Auch sie hielten sich eher an den
traditionellen SKA,
den sie ebenfalls sehr gut interpretierten.
"The Smart" aus Mailand habe ich leider nie
gehört. Ich habe mir jedoch sagen lassen, dass sie sehr gut sein
sollen.
Mehr Bands fallen mir zum Thema SKA leider
nicht ein. Was SKA betrifft war man halt immer auf die Konserve
angewiesen.
So fanden auch oft genug reine SKA-nighter statt um den Mangel
an
SKA-Bands
zu beheben.
Was Mod und Beat betrifft gibt es zwei, mir
bekannte Bands in Italien. Auf der einen Seite die "Stiliti" und
auf
der
Anderen die "Statuto". Beide Bands bestehen nur aus Mods und
sind
zumindest
live lustig anzusehen. Die Musik lässt einem komische Zuckungen
durch`s
Tanzbein fahren...
Il vecchio Crucco
Mods, Rudeboys und Skinheads sind in Italien erstaunlich fest miteinander verbrüdert - Abgrenzungen gibt es dort nicht. Anzutreffen sind diese ungewöhnlichen Lebewesen vor allem in dunklen Pubs in den Arbeitervierteln von Losena, Rom, Perugia, Florenz, Bologna, Mailand, Genua und seit kurzem auch in Venedig und Verona.Italia Skins
Anders als in Deutschland ist die Sharp (Skinheads Against Racial Prejudice) Bewegung in Italien noch zu 95% unpolitisch. Nach wie vor gilt der Grundsatz Roddy Morenas:
„Neighter Red or racist - just pure impact Skinhead".
Haupttreffpunkte sind die örtlichen Bars, Pubs und am Sonntag natürlich auch das Fußballstadion. Hier fühlen sich unseren italienischen Freunde am wohlsten. In die Vorbereitung der Koreographie wird viel Zeit und Mühe investiert, was sich positiv auf die Kurven auswirkt. Am Tage des Spiels wandert man dann geschlossen ins Stadion um erstmal einige Borghetti (Mischung aus wenig Kaffee und viel Grappa) zu sich zu nehmen. Die Stimmung steigt, die Stimmen und Gesänge noch mehr, und am Schluß gibt es regelmäßig Schlägereien mit den meistens verhaßten Gegnern. Italiens Nationalelf ist den Meisten ziemlich scheißegal; aber wehe man beleidigt die örtlichen Lokalmatadore - dann gibt`s saures.
Natürlich spielt sich das Leben nicht
nur im Stadion ab. Ab und zu gibt es auch echte Spitzenkonzerte.
Diese finden meistens in besetzten Häusern statt, da sich die
großen
Konzertmanager bisher geweigert haben SKA oder Oi! In ihren
Häusern
zu spielen.
Dies ist überhaupt nicht schade, da die
besten Partys eh immer in diesen besetzten Häusern stattfinden.
Meistens
spielen dort nur italienische Bands - ausländische Stargäste
waren bisher echte Juwelen. Das ändert sich aber im
Moment.
Es spielten bereits Leute wie Laurel Aitken, Judge Dread oder
die
Skatalites
in solchen besetzten Häusern. Die absolut einmalige Kultband war
Cocksparrer,
die mit einigen italienischen Bands zu Mailand aufspielten. Zu
solche -
für dortige Verhältnisse - Jahrhundertereignisse scheut man
keine
langen Anfahrtswege und wirft sich ordentlich in Schale.
Was die Kleidung betrifft sind des Skinheads Phantasie keine Grenzen gesetzt. Perry`s, Shermans und Lonsdale Pullis sind nur über Umwege und zu überteuerten Preisen zu bekommen. So muß man sich mit dem begnügen was der örtliche Wochenmarkt hergibt. Das gibt der Skinheadszene ihre Einfachheit der 60er Jahre zurück. Auf Konzerten wird man dort nie die Eintönigkeit von lauter schwarzen und roten Perrys finden. Ein jeder hat seinen eigenen Stil und wird trotzdem als Skinhead akzeptiert.
Sehr beliebt sind in Italien auch Tattoos
aller Farben und Formen. Die Motive sind meist selbst, oder von
Freunden
gezeichnet. Sie stellen meist Wappentiere der jeweiligen Stadt
dar.
Spinnweben
auf Schultern und Ellbogen werden auch gerne gestochen, was in
Perugia
dazu führte, dass alle Sharps mit solchen Tattoos als
Kennzeichen
als schwerstkriminelle Hooligans in die Polizeiakten aufgenommen
wurden.
Unannehmlichkeiten bereiten solche Tattoos
auch auf Konzerten der größeren Art, wenn sich
rivalisierende
Fangemeinden gegenüberstehen. In der Regel gibt es dann eine
Ohrfeigenorgie,
nach der dann gemütlich weitergesoffen wird.
Das Hauptgetränk
der Szenen ist natürlich Wein, welcher aus Fünfliter-Flaschen
genossen wird. Dabei ist es egal ob rot oder weiß - Hauptsache
er
schmeckt.
Bier wird hauptsächlich aus Dosen genossen,
wobei das „Moretti" mit Abstand das beste in Italien erhältliche
Bier
ist.
Wie das Bier zum Bayern, gehört die Vespa
zum Standardzubehör des italienischen Skinheads. Sie wird gehegt
und
gepflegt wie ein Kind. Ohne sie ist ein Italiener nichts. Sie
entfernt
ihn schnell und zuverlässig vom Tatort Fußballstadion. Sie
bringt
ihn zu den Konzerten und Nightern. Sie wird auch nicht
eifersüchtig,
wenn man mit einer Frau im Schlepptau Richtung Meer verschwindet
um ein
kühles Moretti am Strand zu genießen und sich die Sonne auf
den Bauch scheinen zu lassen.
Daniel